Den Umständen entsprechend gut geht es der deutschen Wirtschaft aktuell, viele Wunden werden aber erst langfristig heilen – Bruttoinlandsprodukt dürfte dieses Jahr um rund sechs Prozent sinken, wenn erneute Infektionswelle und Einschränkungen ausbleiben – Vor-Krisen-Niveau wird wohl erst in anderthalb Jahren erreicht – Bundesregierung sollte an Stabilisierungspolitik festhalten und Zukunftsinvestitionen erhöhen
Die deutsche Wirtschaft hat die Talsohle durchschritten, der Weg zurück nach oben ist aber steinig: Nach dem knapp zweistelligen und historisch beispiellosen Einbruch der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal dürfte die Erholung dennoch schneller vonstattengehen als noch im Sommer erwartet. Unter anderem das Konjunkturprogramm der Bundesregierung schiebt die Erholung an. Dabei nehmen die KonjunkturforscherInnen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) an, dass es nicht zu erneuten lockdownähnlichen Einschränkungen infolge einer weiteren Infektionswelle durch das Corona-Virus kommt.
Dies vorausgesetzt dürfte die Wirtschaftsleistung in Deutschland in diesem Jahr um 6,0 Prozent schrumpfen. Damit fällt die Konjunkturprognose des DIW Berlin um mehr als drei Prozentpunkte höher aus als noch im Sommer. Für die Jahre 2021 und 2022 sind nach derzeitigem Stand Wachstumsraten von 4,1 beziehungsweise 3,0 Prozent zu erwarten.
Ein Anlass für Optimismus ist, dass Unternehmen und vor allem die privaten Haushalte die Corona-Krise bisher besser verkraftet haben als befürchtet. Vor allem der private Konsum dürfte im weiteren Jahresverlauf deutlich zulegen: Die Kurzarbeit geht allmählich zurück, auch deshalb steigen die verfügbaren Einkommen. Durch die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung – etwa das Kurzarbeitergeld, aber auch ein erleichterter Zugang zu Wohngeld und Grundsicherung – sind diese zudem weitaus weniger stark gesunken als die Wertschöpfung. Die temporäre Mehrwertsteuersenkung und die nicht zuletzt deshalb geringe Inflation von 0,6 Prozent in diesem Jahr stützen den Konsum ebenfalls. Zudem haben viele Haushalte während der Pandemie Geld auf die hohe Kante gelegt, das sie nach und nach ausgeben können. Die Arbeitslosigkeit ist zwar auf zuletzt 6,4 Prozent gestiegen, dürfte aber bereits wieder allmählich sinken.
Die Einschätzung, die Krise könne schnell überwunden werden, wäre allerdings verfrüht: Erstens sind im Frühjahr viele wirtschaftliche Aktivitäten fast vollständig zum Stillstand gekommen – da die Bremsen nun gelockert werden, dürfte es zunächst überdurchschnittlich schnell nach oben gehen. Zweitens bleiben die Risiken und Unwägbarkeiten für Unternehmen und Haushalte groß: Sollte sich das Pandemie-Geschehen wieder dynamischer entwickeln und es abermals zu Einschränkungen kommen, drohen größere wirtschaftliche Verwerfungen.
Dass die Erholung trotz derzeit gut laufender Binnenwirtschaft kein Selbstläufer wird, zeigt bereits der Blick auf den Außenhandel: Bei zahlreichen wichtigen Handelspartnern – etwa in den USA, aber auch in europäischen Nachbarländern – wurden Wirtschaft und Arbeitsmärkte weitaus stärker in Mitleidenschaft gezogen als hierzulande. Ausgerechnet die deutschen Exportschlager wie Maschinen und Fahrzeuge werden wohl längere Zeit nur recht verhalten nachgefragt werden.
Zwar lässt die vergleichsweise schnelle Erholung in China hoffen – sie allein wird die deutsche Exportwirtschaft aber nicht aus dem Tal ziehen können. Insgesamt dürfte die Weltwirtschaft in diesem Jahr um vier Prozent schrumpfen. Fast überall besteht die Gefahr, dass ein erneuter Rückschlag in den nächsten Monaten die Zahl der Unternehmensinsolvenzen sprunghaft steigen lässt. Kreditausfälle in größerem Umfang und Turbulenzen auf den Finanzmärkten könnten die Folge sein.
Auch in Deutschland sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Unternehmensbilanzen und Arbeitsmarkt noch nicht sicher. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wurde gerade erst verlängert. Das wahre Bild und damit verbunden die konkreten Folgen für den Arbeitsmarkt werden also erst in einigen Monaten sichtbar werden.
Umso wichtiger ist es, dass die Politik ihren Stabilisierungskurs und die zahlreichen Maßnahmen zur Sicherung von Unternehmen und Arbeitsplätzen beibehält. Nach Ansicht der DIW-KonjunkturforscherInnen ist jetzt nicht die Zeit, die finanzpolitische Unterstützung zurückzufahren und schon im nächsten Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten zu wollen. Dass die Rettungspakete nicht in vollem Umfang ausgeschöpft wurden, sei dabei nicht notwendigerweise ein Zeichen für deren Wirkungslosigkeit: Dies lasse auch die Interpretation zu, dass die Unternehmen bisher besser durch die Krise gekommen sind als befürchtet. Instrumente wie das Kurzarbeitergeld wiederum haben die Einkommen der privaten Haushalte stabilisiert und damit auch dazu beigetragen, dass die Wirtschaftskrise bisher nicht auf den Immobiliensektor übergesprungen ist und über diesen Kanal Banken zusätzliche Schwierigkeiten bereitet hat.
Eine sinnvolle Ergänzung zur bisherigen Politik wäre, die erheblichen Investitionsbedarfe in Deutschland anzugehen und die kurzfristige Stabilisierungspolitik durch ein Zukunftsprogramm zu ergänzen. Dabei ist vor allem an die Bereiche Digitalisierung, Bildung, Infrastruktur sowie Forschung und Entwicklung zu denken. In Zeiten wie diesen, in denen die wirtschaftlichen Produktionskapazitäten unterausgelastet sind, würden sich solche Investitionen besonders lohnen. Den DIW-KonjunkturforscherInnen zufolge wäre das ein wichtiges Signal an die MarktteilnehmerInnen und würde die mittelfristigen Perspektiven für die deutsche Wirtschaft deutlich aufhellen.