Sportschütze Marcel Goelden: “Am Ende waren es 17 Jahre und über 350 Einsätze in der Nationalmannschaft”

MRZ: Herr Goelden, Sie gehörten Anfang der 2000er Jahre zu den weltbesten Sportschützen im Bereich „Sportschießen – Pistole“. Wie kommt man darauf Sportschütze zu werden und wie sieht hier ein „Werdegang“ in Richtung Weltspitze aus? Wie oft haben Sie beispielsweise während Ihrer „Hochzeit“ wöchentlich trainiert?

Goelden:

  • Zu meinem Sport bin ich durch Zufall gekommen. Aufgewachsen in einer ländlichen Region NRWs (Kreis Warburg) in der es viele Schießsportvereine gibt, war der Weg in einen Schießsportverein nicht weit. Meinen Ersten Kontakt hatte ich 1989 über einen Schnupperwettkampf mit der Armbrust. Für die ersten drei Plätze wurde damals die Aufnahmegebühr und dass erste Jahr Mitgliedbeitrag als Preis ausgelobt. Naja, ich hab den Wettkampf (mit 10 Jahren gegen Erwachsene) gewonnen und hatte somit/fortan Kontakt zu diesem Sport.
  • Zu Beginn habe ich „meinen“ Sport parallel zu Fußball, Tischtennis usw. betrieben. Mein Ziel war es eigentlich nie, eine internationale Karriere anzustreben, doch neben Talent habe ich dann verschiedene Trainer kennengelernt und von ihnen viel gelernt. Mich selber habe ich dabei auch gut kennengelernt und es hat sich sehr viel Freude an Wettkämpfen und Fleiß im Training entwickelt. So kam quasi eins zum anderen und von da an war der Weg geebnet und ich habe mich gefragt, wie weit ich wohl kommen würde. Erste Deutsche Meisterschaft, Aufnahme in den Juniorennationalkader, erste Europameisterschaft usw… Am Ende waren es 17 Jahre und über 350 Einsätze in der Nationalmannschaft
  • Betrachtet man nicht nur meinen, sondern auch andere Weg in die Weltspitze, so gibt es glaub ich immer das gleiche Rezept. Neben (mehr oder weniger Talent) gehört vor allem sehr viel Fleiß, die Fähigkeit sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen, die Freude am Wettkampf – sehr wichtig: ohne Verbissen zu sein – und vor allem sein unterstützendes Umfeld dazu. Letzteres insbesondere bei jungen Sportlern. Ich kann gar nicht sagen, wie oft mein Vater und Opa mich auf Wettkämpfen begleitet haben – nicht nur als Chauffeur, sondern auch als jedwede weitere Unterstützung.
  • Wie oft ich trainiert habe?! Das lässt sich pauschal nicht sagen, da es sehr von der Trainingsphase anhing. In der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung waren es aber mind. 10 Mal pro Woche. Anders auf den notwendigen Einsatz geschaut, erinnere ich mich noch an Jahre, in denen ich 200 Tage auf Wettkämpfen/Trainingslagern etc. und somit nicht zuhause war. In so manchem Sommersemenster war ich dementsprechend nur 5-10 Tage in der Uni und habe mir den Stoff für die Klausuren dann Abends im Hotelzimmer, im Flugzeug oder in den Pausen auf den Schießständen angeeignet.

MRZ: Wie haben Sie den Wechsel vom Spitzensport ins „normale Leben“ vollzogen. Ist es nicht schwierig, den Schalter von den vielen Reisen zu Wettkämpfen quer über den Globus, umzulegen?

Goelden:

  • Nachdem ich in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in London zum TopTeam gehört habe und parallel meine Doktorarbeit verfasste, stand für mich nach der Nichtqualifikation für London2012 fest, dass ich nicht nochmals einen Olympiazyklus gestalten möchte, sondern mich neuen Aufgaben (im Beruf) widmen möchte.
  • Selber hatte ich das große Privileg, das Ende meiner Sportlichen Laufbahn selber zu wählen. Ich wusste exakt, dass ich an einem Sonntag im August morgens aufstehen und den letzten Schießsportwettkampf meines Lebens haben werde. Bei dem Wettkampf konnte ich mit meiner Mannschaft (mit der ich vorher viele, viele Jahre um die Welt gereist bin) nochmals eine Medaille gewinnen. So, schaue ich sehr zufrieden auf diesen Tag und vor allem die 17 Jahre Nationalmannschaft zurück.
  • Es gibt ohne Frage sehr, sehr große Unterschiede von Leistungssport und Beruf. Es hört sich vielleicht pathetisch an, aber es gibt kein brutaleres Geschäft als den Spitzensport – wo anders zählt nichts außer als Leistung. Und ich habe das geliebt und ich vermissen genau das manchmal. Das hört sich komisch ab, aber wir alle kennen es doch aus dem Beruf, dass gar manchmal nicht so recht klar ist, was überhaupt „gut“ ist. Im Sport ist das stets klar: Lauf schneller, Spring weiter, triff besser in die Mitte und Du bist der Beste. Aber was ist das Äquivalent im Job?!
  • Und was im Sport auch anders ist, ist die Tatsache, dass der Zusammenhalt und das „auf ein Ziel eingeschworen zu sein“ alle aus dem Team intensiv vereint – so war es zumindest bei mir. Der Athlet, der Trainer, die Teamkameraden, der Physio usw. haben alle ein gemeinsames Ziel verfolgt und jede freie Minute zur Erreichung dieses Ziels eingesetzt.

 

MRZ: Sie haben schon während ihrer aktiven Zeit Spitzensport und Ausbildung, sprich Studium, „dual“ betrieben, da man auch als Top-Sportschütze seinen Lebensunterhalt damit nicht bestreiten konnte und kann.  Was muss sich im deutschen Spitzensport – Sie waren ja auch während Ihrer aktiven Zeit Mitglied der Athletenkommission im DOSB – ändern, damit es sich außer aus sportlicher Sicht „lohnt“, den Weg ins Spitzensportlage zu gehen?

Goelden:

  • Genau, mein Werdegang ist kurz wie folgt beschrieben: Realschule, Abitur, Ausbildung zum Bankkaufmann, Grundwehrdienst bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr, Studium der BWL (Abschluss als Diplomkaufmann) und parallel der Psychologie (nicht graduiert) mit anschließender als Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter.
  • Mir war stets bewusst, dass ich bei z.B. einer Platzierung auf Position 10 bei einem Worldcup (wieder einmal) der beste Amateur der Welt war. In allen anderensStarken Nationen meines Sports (z.B. Deutschland, China, Rußland, USA, Frankreich usw) waren meine Mitstreiter bei der Armee, der Polizei oder ähnlichen Arbeitgebern – also Profis. Aber es gibt halt nun mal keine Wertung getrennt nach Profis und Amateuren und ich wollte mich unbedingt für die Zeit nach dem Sport vorbereiten. Aus dem Grund die „Dualität“ der sportlichen und beruflichen Karriere.
  • Durch meine abgeschlossene Ausbildung konnte ich in den Semesterferien immer mal wieder einen Job in der Bank annehmen und mich so finanzieren. Finanziell unterstützt wurde ich zudem von der Stiftung Deutsche Sporthilfe.
  • Was meiner Meinung nach im deutschen System verbessert werden muss, sind zwei Dinge. Zum einen die Tatsache, dass mündige Athleten erzogen werden, die selbst entscheiden, welchen Weg im Sport-/Berufsleben sie einschlagen und dabei fair beraten werden. Nicht selten habe ich in quasi allen Verbänden gesehen, dass junge Sportler absolut einseitig „beraten“ werden. Sprich, dass die Idee „geh mal zur Sportfördergruppe, dort kannst Du Deinen Sport professionell betreiben“ der einzige (und aus Trainer/Verbandsssicht sehr egoistische!) Ratschlag war. Es ging sehr drastisch formuliert, darum die Sportler im System zu halten und die Medaillen für eigene Zwecke „abzugreifen“. Ein sog. Drop-out wurde immer als Niederlage und nur äußerst Selten als mündige Entscheidung des Athleten gesehen. Aber egal ob bei der Sportförderguppe der Polizei, der Bundeswehr, dem Zoll usw. – der Ansatz die Sportler dort zu platzieren, war genau falschherum motiviert: Erst sollte der Wunsch bei einem Sportler bestehen, Soldat/Polizist zu sein und darauf folgend dann der Eintritt in die Sportfördergruppe forciert werden – das ist mein fester Standpunkt. Ansonsten habe ich vielleicht 10 Jahre meinen Sport betreiben können und zahle mit nicht erfüllten oder wenigstens initiierten Berufswünschen!
  • Zum anderen sollte der organisierte Sport sich (noch mehr!!!) auf die Unterstützung und Verlässlichkeit der ehemaligen Athleten fokussieren. Was meine ich damit?! Nun, Sportler-Alumni wie ich und tausende weitere sind mittlerweile in beruflichen Positionen mit Personalverantwortung und es wäre für uns ein Leichtes jungen Sportler ein Praktikumsplatz, einen Arbeitsplatz oder zumindest einen ehrlichen Rat anzubieten. Ich habe mal folgendes irgendwo gelesen „Ein Trikot kannst Du ausziehen – eine Einstellung nicht!“ und das trifft es glaub ich ganz gut. Aber wer aus dem organisierten deutschen Sport weiß schon, welcher Alumi wo arbeitet und ob/wo er unterstützen könnte oder möchte?! Es gibt erste Ansätze genau diese Idee zu verfolgen, die ich vor vielen Jahren mit initiieren durfte, doch es scheint für einen Durchbruch dieser Idee an Willen/Einsicht/Ressourcen oder allem dreien zu fehlen.

MRZ: Wagen Sie einmal einen persönlichen Blick in die Zukunft des deutschen Spitzensport. Wird Deutschland – außer den in Sportarten, in denen heute schon reichlich Geld fließt wie Fußball, Basketball, Handball, einige Wintersportarten oder Eishockey – mittelfristig weltweit überhaupt noch eine gute Rolle spielen?

Goelden:

  • Es ist zu vermuten, dass Deutschland mittel-/langfristig die Position im (offiziell bekanntlich nicht existenten!) Medaillenspiegel halten kann – sofern dieser sich überhaupt dazu eignet die sportliche Leistungsfähigkeit einer Nation zu messen. Was ich meine ist, dass ich deutliche Tendenzen sehe, dass andere Nationen überholen, da international mehr in den Leistungssport investiert wird, deutsche Trainer ins Ausland abwandern, Athleten zum Teil sehr früh „ausgebrannt“ scheinen und zudem der Wasserkopf im deutschen Sport viel zu groß ist. Letzteres sehe ich aus finanzieller Sicht als echtes Problem, denn alles für den Wasserkopf budgetierte Geld kann nicht direkt in den Sport (wie z.B. ein Trainingslager) und somit nicht in internationale Konkurrenzfähigkeit fließen. Vor allem beobachte ich jedoch als mittlerweile Außenstehender, dass zu viele automatisierte Partialinteressen einzelner Gruppen/Personen existieren, was sich vor allem bei richtungweisenden Abstimmungsfragen für die Zukunft des deutschen Sports als paralysierend entpuppt.
  • Allerdings möchte ich Eines an dieser Stelle festhalten: Ich glaube felsenfest daran, dass es in Deutschland immer wieder herausragende Talente geben wird, die in Ihrer Sportart die Weltspitze definieren werden. Und unser aller Unterstützung sollte ebendiesen Sportlern gelten!

 

Vita

Dr. Marcel Goelden (* 07/04/1979) in Warburg

Studium: BWL (Dipl-Kfm) und Psychologie (nicht graduiert)

Promotion – Thema: Spitzensport als biografische Information bei der Personal(vor-)auswahl

Heutige Tätigkeit: Inhouse-Consultant in der Energiewirtschaft; Projektleiter im Bereich Energiewende (siehe www.westkueste100.de)

Sportliche Erfolg

  • Zahlreiche Platzierungen Medaillen auf nationalen und internationalen Wettkämpfen
  • TOP10-Platzierung in der Weltrangliste
  • 17 Jahre in der Nationalmannschaft (350 Einsätze „Länderspiele“)
  • 12 Jahre Kapitän der Nationalmannschaft

Verein: SSV Warburg