Quantenbit aus Hochtemperatursupraleiter

Eigentlich verfolgten sie ein anderes Ziel, doch dabei fanden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Jülich, Münster und Moskau eine Möglichkeit, die Quantencomputern einmal den Weg aus spezialisierten Laboren heraus in eine weitere Verbreitung ebnen könnte. Der Schlüssel dafür ist ein Material für Qubits, das nicht bis nahe des absoluten Nullpunktes gekühlt werden muss.

Quantencomputer sollen bestimmte Rechnungen zukünftig deutlich schneller lösen können als die schnellsten Supercomputer der Welt. Nützlich kann das für die unterschiedlichsten Fragestellungen sein, von optimierter Verkehrslenkung über das Design leistungsfähigerer Materialien bis zur Wirkstoffforschung für neue Medikamente. Derzeit gibt es Quantencomputer jedoch nur als Prototypen im Labor oder für spezielle Anwendungen.

Für die Realisierung leistungsfähigerer Quantencomputern werden verschiedene technologische Strategien parallel verfolgt. Qubits, die Bits der Quantenrechner, können etwa aus gefangenen Ionen oder supraleitenden Schaltkreisen bestehen. In beiden Fällen sind aufwändige Kühlsysteme nötig, die die Qubits auf Temperaturen von ungefähr -273 °C bringt, was etwas mehr als 0 Kelvin entspricht. Sie sind so teuer wie ein Einfamilienhaus und benötigen mehr Platz als ein großer Kühlschrank.

Forscher aus Jülich, Münster und Moskau fanden nun heraus, dass sich supraleitende Qubits möglicherweise nicht nur aus den üblichen Niedrigtemperatursupraleitern herstellen lassen, sondern auch aus Hochtemperatursupraleitern, wodurch weitaus billigere Kühltechnik von der Größe eines kleinen Koffers ausreichen würde. Auch sollte sich eine größere Zahl solcher Qubits auf einem Chip unterbringen lassen als bisher und die erzielbare Rechengeschwindigkeit sich um Größenordnungen erhöhen. Letzteres liegt unter anderem an der längeren Lebensdauer des angeregten Zustands von mindestens 20 Millisekunden bei 5 Kelvin.

Eigentlich forschten die Forscher um Prof. Rafal Dunin-Borkowski, Direktor an den Jülicher Instituten Ernst Ruska-Centrum und Peter Grünberg Institut, sowie Jun.-Prof. Dr. Carsten Schuck von der Universität Münster an Komponenten für Einzel-Photonen-Detektoren, für die die geringere Kühlung ausreichen sollte. Solche Detektoren werden etwa für die Verschlüsselung von Daten mittels Quantenkryptographie benötigt. Schucks Arbeitsgruppe verfügt über umfangreiche Erfahrungen in der Entwicklung von Einzel-Photonen-Detektoren auf der Basis von Niedertemperatursupraleitern.

Die Basis des neuen Detektors sollte Nanodraht aus Yttrium-Barium-Kupferoxid (YBCO) darstellen, einem Material, das bereits unterhalb von vergleichsweise warmen −181,15 °C supraleitend ist. Jülich verfügt über langjährige Erfahrung in der Herstellung qualitativ hochwertiger Dünnschichten aus diesem Hochtemperatursupraleiter und besitzt dazu einzigartige, teils selbst entwickelte Geräte und Methoden. Aus den dünnen Schichten schnitten die Forscher in Jülich mit einem fokussierten Ionenstrahl die benötigten Drähte in Form.

„Wir experimentierten mit Nanodrähten unterschiedlicher Breite, ließen Photonen darauf treffen und maßen den Widerstand, der dadurch im Supraleiter entsteht“, berichtet der Physiker Dr. Matvey Lyatti, der zunächst in Münster und später in Jülich an dem Projekt forschte. Auf diesem Prinzip basiert die Detektion der Photonen. „Doch die Ergebnisse bei Breiten unter 100 Nanometer entsprachen nicht unseren Erwartungen.“

Wie sich herausstellte, treten bei 12-13 Kelvin Quanteneffekte zutage: Der supraleitende Nanodraht nimmt nur noch ausgewählte Energiezustände an. Diese könnten zur Kodierung von Informationen genutzt werden. Bei konventionellen Quantenbits werden dafür mehrere Hundert Mal tiefere Temperaturen benötigt, die wesentlich aufwändiger zu erreichen sind.

„Unsere Ergebnisse waren so überraschend, dass wir es selbst kaum glauben konnten“, erinnert sich die Jülicher Physikern Dr. Irina Gundareva. Doch die Messungen überzeugten letztlich auch die zunächst skeptischen Gutachter der nun erfolgten Veröffentlichung der Ergebnisse in Nature Communications.

Die Forscher werden ihre Arbeit an YBCO-Nanodrähten fortsetzen und planen, in den kommenden Jahren nanodrahtbasierte supraleitende Quantenschaltungen zu entwickeln, mit dem finalen Ziel, einen kompakten Tischquantencomputer möglich zu machen. Zudem verfolgen sie ihr Ziel von neuartigen supraleitenden Einzel-Photonen-Detektoren weiter, die von kompakten Kryokühlern gekühlt werden können. Denn auch hierfür erwiesen sich die untersuchten YBCO-Nanodrähte als geeignet und zeigten signifikante Vorteile gegenüber bestehender Technologie in Bezug auf die notwendige Kühltemperatur sowie die zeitliche Signalauflösung.

Foto: Das Jülicher Team (ohne Prof. Rafal Dunin-Borkowski), von links: Dr. Matvey Lyatti, Dr. Irina Gundareva, Maximilian Kruth. Im Hintergrund ist die Helios Nanolab DualBeam 400S (FEI) zu sehen, die die Forscher zum Schneiden der Nanodrähte nutzten. Foto: Forschungszentrum Jülich / Dmitry Bratanov